Eine Frau für Bochum
Soweit, so gewöhnlich. Die Büste einer Persönlichkeit, ein Platz ist nach ihr benannt worden. Einzig: Die Frau hat nie gelebt. Grete-Penelope Mars ist eine Erfindung der Künstlerin Kristina Buch, ist ein Sinnbild, ist Kunst.
Schaut man sich die Figur an, entdeckt man sofort Widersprüche: Sie wirkt alt, mit Grünspan besetzt. Doch installiert wurde sie erst im Frühling 2015. Die Haare von Grete wirken altertümlich, das Gesicht ist jedoch frisch und jung, nahezu jugendlich.
Penelope, Frau des Odysseus – sie war eine treue Seele. Und Mars weist gen Himmel, in den Kosmos, zum nächsten Nachbarn der Erde. Zudem ist Mars ein Kriegsgott – vielleicht ein kleiner Hinweis darauf, dass sich in Grete auch eine Kämpfernatur versteckt.
Zu kämpfen hat Bochum – nicht erst seit dem Weggang großer Firmen wie jüngst Opel. Die Kunstaktion um Grete-Penelope Mars war eingebettet in das internationale „Detroit-Projekt“ des Schauspielhauses Bochum und der Urbanen Künste Ruhr. Darin ging es ein Jahr lang in Bochum um Fragen zur Zukunft der Stadt, der Arbeit und der Kunst. „We are not Detroit!“ – Wir sind nicht Detroit, wir sind Bochum. Ein künstlerischer Appell, sich nicht als Opfer, sondern als Akteurin des industriellen Wandels zu begreifen.
Mittendrin eine Frau, eine Erscheinung, der es gelungen ist, sämtliche Kartierungen zu ändern und einem Platz ihren Namen zu geben. Dass es eben eine Grete ist und kein Paul, freut viele Bochumerinnen. Denn weitaus mehr Plätze der Stadt sind nach Männern benannt – doch Strukturwandel wird auch von Frauen geprägt und gestaltet.
So ist Grete auch ein Stück Emanzipation: einer Stadt und ihrer Einwohnerinnen. Sie ist Wahrheit und Illusion zugleich. Sie regt dazu an, Dinge zu hinterfragen. Ist wirklich alles so, wie es scheint? Oder ist es in Wirklichkeit ganz anders, zuallererst visionär in diese Welt gesetzte Erzählung?
Eine Aktion mit starker Symbolkraft: Grete-Penelope Mars steht für die Grenzen zwischen Realität und Traum, für Kummer und Hoffnung, für Erzählung und Lüge. Aber im Schwarz gibt es immer viele helle Punkte. Jene Hoffnungsschimmer, die jetzt auch ein kleiner Punkt auf der Stadtkarte sind.
Dort, wo sich Friederikastraße, Erlenstraße und Kulmer Straße treffen, ist ein kleiner Platz. Ein kleiner Platz, der über das Wiesental hinausstrahlt. In der Nacht. Im Dunkeln.
Andrea Behnke