In der Politik sollten alle Gruppen vertreten sein, die es auch in der Gesellschaft gibt. Das war der Grund für Züleyha Demir, bei den „Grünen“ einzutreten. Seit 1999 sitzt sie im Rat der Stadt Bochum – und seit Ende letzten Jahres ist sie Bürgermeisterin. „Ich wollte die Perspektive der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in die Politik bringen“, sagt sie, die mit zwei Jahren aus der Türkei nach Deutschland gekommen ist. Ihr Vater hat 1966 als sogenannter „Gastarbeiter“ zuerst in Wesel, später in Bochum Arbeit gefunden.
Dass sich Züleyha Demir, die als Ehrenamtliche schon Vorsitze des „Alevitischen Kulturvereins“ war, die „Grünen“ ausgesucht hatte, hat gute Gründe: „Mir sind soziale und ökologische Themen wichtig. Und ich wollte in einer Partei sein, der es mit Diversität wirklich ernst ist.“
Nachdem der Ausländerbeirat 2004 in den Ausschuss für Migration und Integration umgewandelt worden war, hat die Kornharpenerin am Integrationskonzept für die Stadt und ihre Bürgerinnen und Bürger mit Zuwanderungsgeschichte mitgewirkt. Interkulturelle Öffnung der Verwaltung, Sprachförderung für Kita-Kinder und Belange von Seniorinnen und Senioren, die nicht in Deutschland geboren sind – das sind nur einige der Punkte, die Züleyha Demir wichtig waren und sind.
Stadt in Bewegung
Mittlerweile engagiert sie sich mehr für andere Politikbereiche – denn auch das ist gelebte Integration, dass Menschen mit Zuwanderungsgeschichte selbstverständlich auch andere Felder beackern können. Bei der 54-Jährigen sind das vor allem die Stadtentwicklung und der Sport. Als studierte Architektin arbeitet sie bei der Stadt Gelsenkirchen in der Bauordnung. Ihre berufliche Kompetenz möchte sie auch in der Politik nutzen. „Nachhaltiges und ökologisches Bauen ist gerade auch im Hinblick auf den Klimawandel bedeutsam“, sagt Züleyha Demir. Aber auch die sozialen Aspekte von Stadtentwicklung liegen ihr am Herzen: Wie bekommen wir eine gute soziale Durchmischung in allen Lebensphasen hin? Wie schaffen wir in den Stadtteilen eine funktionierende Infrastruktur für Jung und Alt?
Dazu passt ihr Engagement für Sport, und zwar auch jenseits der Vereine. Ihr schwebt die „Stadt in Bewegung“ vor, mit vielen Möglichkeiten für körperliche Aktivitäten.
Vielleicht ist ihr das ein großes Anliegen, weil sie sich gerne an ihre eigene Kindheit erinnert. Eine Kindheit mit Spielen auf dem Bürgersteig und Rennen im Stadtpark, mit Fuß- und Federball.
Das Amt als Zeichen
Damals, als sie als Schülerin manchmal das Gefühl hatte, „auf gepackten Koffern zu sitzen“. Dann wurde jedoch immer mehr klar: Bochum ist ihre Heimat. Die Politikerin ist hier zur Schule gegangen, hat hier studiert. Da ihre Eltern beide berufstätig waren, hat sie sich alleine durchs Lernen gekämpft. Mit Erfolg und Stolz.
Rassistisch angegangen wurde sie noch nie, früher nicht und heute nicht, obwohl in ihrer Schule nur wenige Mädchen oder Jungen waren, die nicht in Deutschland geboren sind. Heute merkt sie manchmal das, was man Alltagsrassismus nennt. Zum Beispiel, wenn Urlaub ansteht und Leute fragen, ob sie „in die Heimat“ fährt. Oder wenn es im Sommer heiß ist und jemand aus der Nachbarstadt meint, dass sie die Hitze ja kenne. Dann antwortet sie, dass es in Bochum auch nicht heißer sei als in den anderen Ruhrgebietsstädten. „Viele Menschen sehen mittlerweile gar nicht mehr, dass meine Eltern aus der Türkei kommen. Wenn sie dann etwas Negatives über Menschen mit Zuwanderungsgeschichte sagen und ich meine Meinung dazu kundtue, dann betonen sie, dass ich natürlich nicht gemeint sei …“, erzählt sie.
Zunächst hatte Züleyha Demir gezögert, als man sie – für sie selbst völlig überraschend – gefragt hat, ob sie Bürgermeisterin werden wolle. Doch dann hat sie zugesagt – auch, weil es ein Zeichen gegen rechte Tendenzen sei, dass eine Frau, deren Eltern Wurzeln in der Türkei haben, ein solches Amt bekleidet. Ein Amt mit viel Öffentlichkeit.
Dafür hat sie ihre Arbeit als Architektin reduziert. Denn ein Vollzeit-Job und ein solches Amt sind nur schwer zu vereinbaren. Wochenend-Arbeitsschichten gehören inzwischen dazu. Und zwischendurch gönnt sie sich kleine Auszeiten, um Kraft zu schöpfen: Sie reist gerne, wandert, gärtnert. Sie handarbeitet oder liest. Und seit einiger Zeit hat die aktive Bochumerin auch einen Tauchschein.
Andrea Behnke