Engagement gegen sexuellen Missbrauch
Mit dem Abi in der Tasche wollte Monika Bormann studieren. Die Berufsberatung riet ihr zu Psychologie. Psychologie? Ein Fach, das in ihren Augen ein „Laberfach“ war? Sie besuchte eine Bekannte ihrer Mutter, die in Hagen auf dem Berg ein Blockhaus hatte – und darin war ihre Praxis für Kinderpsychotherapie. Das gefiel der Abiturientin von damals. Dass Mathematik im Psychologie-Studium einen großen Anteil hat, schreckte sie nicht ab. Im Gegenteil: Es machte das Fach zu etwas „Handfestem“. So studierte Monika Bormann an der Ruhr-Uni Psychologie und Theologie.
Das ist jetzt schon lange her. Kinderpsychotherapeutin ist sie nicht geworden, aber sie hat bis zu ihrem Ruhestand in diesem Sommer mit Eltern, Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in der Beratung gearbeitet – 27 Jahre hat sie die Caritas-Fachberatungsstelle Neue Wege geleitet.
Pionierarbeit
Eingestiegen ist die heute 66-Jährige in der Erziehungsberatungsstelle der Caritas, auf einer halben Stelle. Denn zu der Zeit war sie schwanger mit ihrem Sohn. Ihre Tochter wurde drei Jahre später geboren. „1987 lernte ich den Begriff ‚Sexueller Missbrauch‘ kennen“, erinnert Monika Bormann sich. Gleich zwei Fälle beschäftigten sie: ein 12-jähriges Mädchen, das von ihrem Opa missbraucht worden war, und die Vergewaltigung eines Kindes auf einem Karnevalszug. Vier Jahre später, 1991, wurde Neue Wege gegründet, als ärztliche und psychosoziale Beratungsstelle gegen Misshandlung, Vernachlässigung und sexuellen Missbrauch von Kindern.
1994 übernahm Monika Bormann die Leitung. Da waren ihre eigenen Kinder schon fast in der Pubertät. Sie hat ihnen beigebracht, dass sie „Nein“ sagen dürfen. Doch so wichtig das Thema Missbrauch auch sei: „Man muss sich immer wieder klarmachen, dass der Großteil der Männer nicht misshandelt oder vergewaltigt.“ Sie versuchte, keine Ängste auf ihren Sohn und ihre Tochter zu übertragen.
Sich auszutauschen, auch über Gefühle: Da hat Monika Bormann immer das Team geholfen, das sie sehr geschätzt hat. Von Anfang an hat sie interdisziplinär und zusammen mit Männern und Frauen gearbeitet. Das Besondere der Einrichtung war, dass Jungen ebenfalls aufgenommen wurden. „Denn damals waren viele noch der Meinung, dass Jungen unter Missbrauch nicht so leiden“, sagt die Diplom-Psychologin. Eine weitere Klientengruppe wurden Kinder und Jugendliche, die Zeugin oder Zeuge häuslicher Gewalt waren.
Später kam noch die Rückfallvorbeugung hinzu, also die Arbeit mit Minderjährigen, die sexuell übergriffig gehandelt haben. Das ist eine eigene Abteilung an anderem Ort. Seit einigen Jahren wird dort auch mit Männern gearbeitet, die sexuelle Straftaten begangen bzw. ihre Partnerin geschlagen haben.
Auftanken
„Ich arbeite mit ganzem Herzen mit Menschen, die von Gewalt betroffenen sind, an ihren Problemen und Verletzungen, Hoffnungen und Sehnsüchten“, sagt die Bochumerin. „Die Täterarbeit fand ich notwendig und habe sie mit aufgebaut, nicht aber selbst durchgeführt. Die Tat ist ein Verbrechen und ist mit nichts zu rechtfertigen. Aber auch der gewalttätige Mensch ist ein Mensch. Was braucht dieser Mensch, um ohne Gewalt leben zu können?“
Wie schafft man es, an den schlimmen beruflichen Themen nicht zu zerbrechen? Monika Bormann denkt nach. Dann sagt sie: „Vielleicht ist bei mir auch etwas kaputtgegangen. Mein früheres Bild von der Welt.“ Denn sie selbst sei das Kind von liebenden Eltern, sie sei in Hagen sehr behütet großgeworden.
Um aufzutanken, hat sie immer versucht, Beruf und Privatleben zu trennen. Freie Zeit zu genießen. Da ist ihr „katholisches Leben“, wie sie es nennt. Sie ist gläubig, ist aktiv in der Kirche. Unter anderem engagiert sie sich bei „Pax Christi“: „Ich wollte nicht immer gegen etwas arbeiten, sondern auch für etwas – in dem Fall für den Frieden.“ Da ist die Musik. Sie spielt mehrere Instrumente, unter anderem Flöte, die sie immer wieder mit sich selbst verbunden hat. Einatmen, Ausatmen, sich spüren. Außerdem strickt sie gerne und bewegt sich im Freien.
Doch gerade erst hat sie zwei Ehrenämter angenommen: Sie ist unabhängige Ansprechperson im Bistum Essen für Betroffene von sexuellem Missbrauch durch Kirchenmitarbeitende. Und sie gehört zum geschäftsführenden Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie, in der sie schon sehr lange aktiv ist. Im Schaukelstuhl zu sitzen mit Nadeln in der Hand, das wird also noch keine Ganztagsbeschäftigung.
Andrea Behnke