Seit Juli 2023 ist Khonaf Hajo im Ruhestand. Eigentlich. Denn trotzdem trifft man sie immer noch in ihrem Büro in der Hustadt, in den Räumen von Ronahi e.V.. Gegründet hat sie den Verein zusammen mit vielen deutschen und kurdischen Frauen schon 1993. Seit 2016 hat sie dort als Geschäftsführerin gewirkt - mit den Aktionsfeldern Flüchtlingshilfe, Beratung, Familienhilfe, Jugend- und Bildungsarbeit. „Vielfalt, Wertschätzung, Teilhabe“ – so lautet der Slogan von Ronahi. Und genau das ist es, wofür die 66-Jährige steht.
Sie, die 1975 kurz vor ihrem Abitur nach Deutschland gekommen ist, hat in Bochum die Schule beendet. Da war sie gerade volljährig. Aufgewachsen ist sie in den kurdischen Gebieten Syriens. In einer Großfamilie. „Im Dorf meiner Eltern und in der Nähe gab es keine Universitäten“, sagt sie. „Auch eine schulische Ausbildung war dort nicht möglich.“ Ihr Verlobter hatte damals ein Stipendium für sein Studium in Berlin – ein Onkel wohnte schon im Ruhrgebiet. So landete sie mit ihrem späteren Ehemann in Bochum, das sie heute Heimat nennt. „Ich bin einmal geflohen, ich würde ich nie mehr weggehen“, sagt sie. Hier sei sie glücklich, hier sei die Welt. Ihre Welt.
Bildung als Schlüssel
Das war nicht immer so: Als junge Frau sei sie frustriert und traurig gewesen, erinnert sie sich. In den 70er-Jahren hat es keine Sprachkurse für Migrantinnen gegeben – und sie wollte lernen, lernen, lernen. Lernen sei immer ihr Antrieb gewesen, ihr Motor. Da fügte es sich gut, dass sie über einen Kontakt im Kirchenforum in Querenburg im Berufskolleg landete. An der Akademiestraße: „Akademie! Ich dachte, das sei eine Hochschule“, blickt sie zurück. Dass sie dort zur Erzieherin ausgebildet werden sollte, hat sie zunächst nicht glücklich gestimmt. Doch sie hat es durchgezogen, so wie sie sich immer wieder durchgebissen hat.
„Integration bedeutet für mich Bildung“, sagt sie. „Bildung war mir wichtig bevor ich eine Familie gründen wollte, denn ich musste selber erst Fuß fassen.“ So machte sie den Abschluss zur staatlich anerkannten Erzieherin und hat dann an der Volkshochschule als Dozentin im Bereich Frauenbildung gearbeitet. Später bekam sie einen Vertrag als Leiterin der IfaK (Verein für multikulturelle Kinder- und Jugendhilfe sowie Migrationsarbeit) in Querenburg – eine halbe Stelle. „Ich muss immer auch frei sein wie ein Vogel“, sagt Khonaf Hajo und schmunzelt. So hat sie neben der Festanstellung weiter freiberuflich gearbeitet. Unter anderem hat sie Deutschkurse gegeben und war von 1993 bis 1995 Vorstandsmitglied des
„Fördervereins Hustadt“.
Engagement für Frauen
Inzwischen hatte sie auch ihren Traum erfüllt und Soziale Arbeit und Sozialpädagogik an der Evangelischen Fachhochschule in Bochum studiert. Später absolvierte sie das weiterbildende Studium Bildung, Politik und Kultur an der Universität Dortmund und machte eine journalistische Fortbildung. Sich zu bilden und beruflich auf eigenen Beinen zu stehen – das war ihr auch wichtig, als sie längst Mutter dreier Söhne war. Das erklärt auch, dass ihr Schwerpunkt die Frauenarbeit war – ob es nun die Gründung der ersten Krabbelgruppe in Uni-Center, einer Gruppe für alleinerziehende Migrantinnen oder einer Internationalen Gruppe für Frauenarbeit war: Ihr Engagement galt und gilt immer den Frauen; allen voran den kurdischen Frauen in Bochum und Frauen mit internationaler Geschichte, obwohl Ronahi längst offen für alle Geschlechter und alle Herkunftsländer war.
Khonaf Hajo will eine Brücke schlagen zwischen Deutschland und den Menschen ihrer früheren Heimat und anderen Regionen, aus denen Menschen nach Deutschland kommen. Wichtig ist es ihr dabei, dass auch die Menschen, die neu in Deutschland sind, zueinander finden. Zugewanderte sollten sich auch untereinander integrieren, findet sie, denn: „Das sorgt für Frieden.“
Politische Aktivitäten
Die Sozialpädagogin ist Mitglied der SPD. Zunächst wollte sie überhaupt kein politisches Amt haben, doch dann landete sie im Frauenbeirat und später im Integrationsrat, dessen Vorsitzende sie von 2014 bis 2016 war. In dieser beratenden Tätigkeit habe man wichtige Themen auf den Weg gebracht, meint sie - und ergänzt umgehend: „Die Arbeit an der Basis ist trotzdem noch entscheidender für mich.“
Und genau diese Basis, ihre Wurzeln, will sie nun im Rentenalter wieder vermehrt in den Blick nehmen. Als Ehrenamtlerin möchte sie sich wieder verstärkt für Frauen und Mädchen einsetzen, unter anderem gemeinsam mit der Deutsch-Kurdischen Frauenunion. Auch Ronahi e.V. unterstützt sie weiterhin.
45 Jahre Engagement, viel Arbeit, viele berufliche Stationen: Gibt es da einen Ausgleich? Khonaf Hajo nickt. Sport sei so etwas, mit Freundinnen eine Walking- Runde in der Hustadt drehen, Unternehmungen mit ihren Enkelkindern. Mal ein Urlaub auf Kos mit ihrem Sohn und seiner Familie. Doch dann ergänzt sie sofort: „Helfen macht mich so glücklich.“ Und erzählt von den Vorbereitungen zum Internationalen Frauentag.
(Andrea Behnke)