Geboren wurde sie als Elisabeth Mayer am 10. November 1924 in der Landesfrauenklinik in Bochum. Ihre Eltern waren Alfred Mayer (1892-1944) und die aus einer jüdisch-orthodoxen Familie im hessischen Camberg stammende Martha Mayer, geborene Goldschmidt (1897-1976). 1927 kam Elisabeths Bruder Georg zur Welt. Die Familie lebte von 1924 bis 1933 in der Scharnhorststraße 3und bis zur Emigration 1939 in der Neustraße 17. Elisabeths Vater Alfred Mayer war promovierter Politik- oder Staatswissenschaftler (Dr. rer. pol.), den Lebensunterhalt für seine Familie jedoch verdiente er als Installateur. Zusammen mit seinem Vater Leo und seinem Bruder Otto führte er das Installationsgeschäft Leo Mayer & Söhne an der Rottstraße. Mit Augenzwinkern schreibt Elizabeth Petuchowski in ihrer Autobiografie, ihre Familie habe den Spitznamen „Klo-Mayer“ getragen, um sie von anderen Mayers in Bochum unterscheiden zu können.
Ihre Kindheit scheint in einem liebevollen, kulturell anregenden Umfeld verlaufen zu sein. Beide Eltern interessierten sich für Literatur, Kunst und Musik und musizierten auch selbst. Mutter Martha spielte Klavier, Vater Alfred Geige. Ihn beschreibt sie als humorvoll und allem Neuen gegenüber aufgeschlossen. Er hatte eine Vorliebe für amerikanischen Jazz und das Kino, wohin er auch Elisabeth mitnahm. Sie sah Mickey-Mouse-Filme, Filme mit Shirley Temple und viele andere. Mit ihrer Mutter ging sie in den Zirkus.
Elisabeth Mayer war eine gute Schülerin. Nach der jüdischen Volksschule besuchte sie das Freiherr-vom-Stein-Lyzeum, die „höhere“ Schule für Mädchen in Bochum. Schon als Kind schrieb sie gern, liebte deutsche Literatur und sogar Grammatik. Wie es scheint, verschaffte ihr das den Respekt ihrer Lehrerinnen und Lehrer bis weit in die NS-Zeit hinein. Zwar nahm sie deutlich wahr, was um sie herum vor sich ging, sah sich selbst zunächst aber nicht als Opfer antisemitischer Angriffe.
Wie viele andere Veteranen des Ersten Weltkriegs glaubte ihr Vater nicht, dass Hitler und sein Regime sich lange würden halten können. Doch bald wich die Zuversicht der Sorge. Der Boykott gegen jüdische Geschäfte, Praxen und Kanzleien am 1. April 1933 bewog ihn zu einem wirtschaftlichen Neubeginn. 1935 zog er nach Berlin und machte sich mit dem Installationsgeschäft Alfred Mayer selbständig. In der Großstadt erhoffte er sich bessere Bedingungen für ein jüdisches Unternehmen als in Bochum. Für Elisabeths Bruder Georg ergriffen die Eltern die Chance, ihn auf ein internationales Jungeninternat in der Schweiz zu schicken, so dass Elisabeth mit ihrer Mutter allein in Bochum zurückblieb. Die Familie besuchte sich gegenseitig. Emigration war zunächst kein Thema. Das änderte sich auf brutale Weise durch den Novemberpogrom 1938, als in der Nacht vom 9. auf den 10. November überall in Deutschland die Synagogen brannten, auch die prachtvolle Bochumer Synagoge an der Wilhelmstraße, als SA und andere Nazis jüdische Wohnungen zerstörten. Es war der Tag vor Elisabeths 14. Geburtstag. Die verpackten Geschenke hatte sie schon gesehen und freute sich aufs Auspacken am nächsten Tag. Dazu kam es nicht. Elisabeth und ihre Mutter wurden von dem Lärm splitternden Holzes und brechenden Glases geweckt. Doch es waren keine Einbrecher, wie sie zunächst dachten, sondern brutale Nazis, die in der Eingangshalle wüteten. Ein Fass mit Benzin, das ihnen als Brandbeschleuniger beim Anstecken des Hauses dienen sollte, wurde bereits die Treppe heraufgerollt, als das im Haus wohnende nichtjüdische Hausmeister-Ehepaar sie stoppte und zum Abzug bewegte.
Bei all dem Schrecken erfuhr Elisabeth auch ein schönes Zeichen der Solidarität. Am nächsten Tag stand Helga Schmidt, eine Mitschülerin, auf ihrer Türschwelle und fragte, wie es ihr gehe. Die Mädchen kannten sich, waren aber keine engen Freundinnen. Nach dem Krieg nahmen sie wieder Kontakt miteinander auf, der jahrzehntelang hielt.
Elisabeths Großvater Leo Mayer entzog sich der allen jüdischen Männern im Zuge des Novemberpogroms drohenden Verhaftung, indem er Suizid beging. Seine gespenstisch anmutende Beisetzung fand schon um 5 Uhr am nächsten Morgen statt, noch vor Sonnenaufgang. Die städtischen Behörden hatten das so angeordnet.
In Berlin war auch das Installationsgeschäft von Alfred Mayer zerstört worden, er selbst war gefangen genommen und ins Konzentrationslager Sachsenhausen in Oranienburg nahe Berlin verschleppt worden. Nach drei Monaten kam er wieder frei, musste aber zusichern, Deutschland auf schnellstem Weg zu verlassen. Das gelang mit der Hilfe von Elisabeths Onkel Ernst Goldschmidt, dem Bruder ihrer Mutter, der Alfred Mayer ein Einreisevisum nach England verschaffte. Ernst Goldschmidt, ein bis dahin renommierter Orthopäde an der Charité in Berlin, war bereits 1933 nach England emigriert und konnte nach dem Erwerb der entsprechenden Lizenz in London weiter praktizieren.
Etwas später folgten Elisabeth und ihre Mutter per Flugzeug ab Köln. Ihr Bruder Georg blieb in der Schweiz. Zwar musste er das Internat aus Kostengründen verlassen, durfte aber eine öffentliche Schule besuchen und fand Aufnahme in einer Pflegefamilie.
Auch beim Aufbau ihres neuen Lebens in England war die Hilfe von „Onkel Ernst“, wie Elisabeth ihn nannte, von unschätzbarem Wert. Sie konnte ihre durch die Nazis unterbrochene Schullaufbahn fortsetzen. Die Londoner Schule, in der sie angemeldet war, wurde kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs evakuiert und ins ländliche Kettering in Northamptonshire verlegt. Elisabeth kam bei einer Pflegefamilie unter; die englische Sprache erlernte sie schnell. 1943 begann sie ein Studium der Germanistik am University College London (UCL), 1946 schloss sie es mit dem Bachelor of Arts (BA) ab. Während des Studiums lernte sie den Theologiestudenten und angehenden Rabbiner Jakob Petuchowski (1925-1991) kennen. Das Paar heiratete im November 1946 und ging 1948 gemeinsam in die USA.
Am Hebrew Union College (HUC) in Cincinnati/Ohio schloss Jakob Petuchowski seine Studien ab, wurde zum Rabbiner ordiniert, 1956 promoviert und etwas später als Forschungsprofessor am HUC berufen. Dieses war über Jahre hinweg nicht nur das Zentrum seiner aus Forschung und Lehre bestehenden wissenschaftlichen Laufbahn, sondern – mit einigen Unterbrechungen – auch Lebensmittelpunkt der Familie.
Elizabeth Petuchowski (nun mit „z“ im Vornamen) wurde Mutter dreier Söhne. Erst als diese selbständig wurden, widmete sie sich wieder ihrer eigenen Karriere. Sie belegte Seminare am German Department der University of Cincinnati, an dem sie 1971 ihren Masterabschluss machte und 1975 zum Dr. phil. promoviert wurde. Ebendort übernahm sie eine Lehrtätigkeit als Germanistin. Gleichzeitig forschte und publizierte sie fleißig. Elizabeth Petuchowski gilt als ausgewiesene Expertin im Bereich deutschjüdischer Literatur. Ihre wissenschaftlich fundierten Arbeiten auf der einen Seite, ihre mit leichter Hand geschriebenen Abhandlungen über jüdischen Humor auf der anderen belegen ihre Vielseitigkeit. Die zahlreichen Feuilleton-Artikel zeugen von ihrer ursprünglichen Liebe zum Journalismus.
2021 legte sie ihr großes Werk „Where From and Where To“ vor. Es ist „autobiographisches Zeitdokument einer selbstbewusst reflektierten und emanzipierten jüdischen Frau an der Seite eines Gelehrten“, schreibt Rudolf Walter vom Herder-Verlag, der einige ihrer Schriften verlegte, „und ein Buch, das auch ein authentisches Bild jüdischen Lebens in der Vor- und Nach-Holocaust- Zeit zeichnet.“
Heute lebt Elizabeth Petuchowski in Columbus/Ohio, in der Nähe eines ihrer Söhne. Am 10. November wird sie 100 Jahre alt.
Ingrid Wölk, im Oktober 2024