Erläuterungen
Geschichte und wesentliche charakteristische Merkmale der Siedlung:
Die Krupp-Zeche "Constantin der Große" besaß mehrere Lager zur Unterkunft von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern aus den besetzten Ostgebieten. 3.500 Zwangsarbeiter befanden sich 1944 auf den Constantin-Schachtanlagen, insgesamt 40 Prozent der Belegschaft.
Das Lager Bergen wurde 1941/42 für Zivilarbeiter der Zeche Constantin eingerichtet. Die heute vorhandenen neuen Baracken des sogenannten Ausländerlagers waren zunächst mit 70 "fremdländischen Zivilarbeitern" belegt. Im Laufe des Krieges steigerte sich die Zahl auf angeblich 600 Mann, überwiegend zwangsverpflichtete Polen und Galizier.
Das Barackenlager beginnt unmittelbar hinter den Wohnbebauungen an der Bergener Straße. Ein zentraler, unbefestigter Weg erschließt die Siedlung. Am Beginn dieses Weges liegt das kleinste Gebäude, das wohl als Wachstube gedeutet werden muss. An diesem Haus vorbei durchläuft die Straße einen Platz, der sicherlich als Versammlungsort und Appellplatz diente. Soweit die ehem. Baracken nicht an diesem Platz stehen, erschließen drei mit Pappeln bestandene Sackgassen die übrigen Gebäude. Am Ende der ersten Quererschließung befand sich früher ein Löschteich.
Diese Häuser sind eingeschossig und durch flach geneigte Satteldächer mit Teerpappe gedeckt. Zum Teil sind die Bauten verputzt, zum Teil liegt das Ziegelmauerwerk frei. Jedes Haus ist in vier Wohneinheiten quer unterteilt. An den Giebelseiten befinden sich Nebenräume für Kohle, Kleinvieh und anderes.
Ursprünglich, das heißt von 1940 bis etwa 1947, waren auch diese Gebäude sehr wahrscheinlich durch einen langen, firstparallelen Gang von Giebelseite zu Giebelseite erschlossen, an dem rechts und links zehn Schlafräume lagen.
Besonders bemerkenswert ist, dass parallel zu jedem Gebäude ein gedeckter Luftschutzgraben verläuft. Die Gräben sind erhalten.
Die Siedlung hat den Krieg anscheinend unbeschädigt überstanden. Das Lager soll Gegenstand der Beweisaufnahme im Nürnberger Krupp-Prozess 1947 gewesen sein, der sich vor allem mit der Behandlung von Zwangsarbeitern beschäftigte.
Das Fremdarbeiterlager diente nach Kriegsende weiter der Zeche, denn mit der Rückkehr der verschleppten Zivilisten in ihre Heimatländer stand der Bergbau 1945 vor dem Problem des Arbeitskräftemangels. Es fehlten nun bis zu 50% der Arbeitskräfte. Zudem waren die verbliebenen Stammbelegschaften größtenteils überaltert, viele arbeitsfähigen deutschen Männer waren im Krieg getötet worden oder befanden sich in Gefangenschaft. Die aus dieser Erkenntnis groß angelegten Anwerbungskampagnen wurden aber dadurch behindert, dass es in den zerstörten Städten des Ruhrgebietes an Wohnraum fehlte. So wurden Zwangsarbeiterlager anscheinend nahtlos zu Bergarbeiterheimen umgenutzt. Im Lager Bergen wurden in den 1950er Jahren etwa 100 Bergleute untergebracht.
Zeitzeugenberichten zufolge wurden die Baracken an der Bergener Straße noch in den ersten Nachkriegsjahren umgebaut, wobei der Umfang der Baumaßnahmen durch Akten nicht belegbar ist und Zeugenaussagen nicht eindeutig sind. Die Häuser wurden jedenfalls in mehrere eigenständige Wohneinheiten aufgeteilt, die jeweils einen eigenen Eingang von der Traufseite erhielten. Ein neuer Putz und Schlagläden sowie die Begrünung der Straßen und Freiräume verliehen der Anlage einen wohnlichen Charakter. Anfangs dienten die Wohneinheiten ledigen Bergarbeitern, die neue Aufteilung ermöglichte es später aber auch Familien hier einzuziehen Zu einem unbekannten Zeitpunkt wurde in einem Haus ein Kindergarten eingerichtet, der heute als ungenutzter Versammlungsraum erhalten ist. Zwei zentrale Waschkeller ergänzen die Ausrüstung der Siedlung.
Die heute im Eigentum der Stadt Bochum stehende Siedlung dient seit den 1960er Jahren ausländischen Arbeitnehmern als Unterkunft. Modernisierungen wurden nur noch in geringem Maß vorgenommen. Die Sanitäranlagen und Fenster wurden erneuert und die Dächer wurden isoliert.
Auch die Geschichte des Lagers als eine nach 1945 sehr früh hergerichtete Bergarbeitersiedlung trägt zum Denkmalwert der Anlage bei.
Die Zwangsarbeitersiedlung Bergener Straße ist im Sinne des Denkmalschutzgesetzes NW bedeutend für Bochum und für die Menschen, weil sie seltene und gut erhaltene bauliche Zeugnisse des Unterdrückungs- und Ausbeutungssystemes im nationalsozialistischen Deutschland ist. Sie ist aber auch bedeutend, weil sie einen wichtigen Aspekt im Wiederaufbau des Bochumer Bergbaus dokumentiert, nämlich die mehr oder weniger improvisierte Unterkunft für dringend benötigte Arbeitskräfte.
Der "International Tracing Service", ein auf Initiative der alliierten Behörden eingerichteter Suchdienst, hat 1950 einen "catalogue of camps and prisons in Germany and german-occupied territories" erstellt. Er notierte 66 Zwangsarbeiterlager in Bochum und Wattenscheid. Exakt 100 Lager führt ein Bericht vom 14. Juli 1943 an den KreisIeiter der NSDAP in Bochum auf. Weitere Archivalien stützen diese Aussagen.
Es hat sich im Laufe der Recherchen zu den Siedlungen gezeigt, dass die schriftliche Überlieferung zu Fragen des Aufenthaltes von Zwangsarbeitern in Bochum sehr lückenhaft ist. Die Siedlung kann als "gebaute Quelle" zur Klärung offener Fragen beitragen. Insbesondere illustriert sie - trotz etlicher zeitbedingter Veränderungen - die damaligen Lebensumstände der Lagerinsassen.
In dieser dokumentarischen Funktion für Menschen aus vielen Staaten weist die Siedlung weit über die Grenzen Bochums und auch NRWs hinaus, denn die Siedlung gehört zu den letzten gegenwärtig bekannten Beispielen ihrer Art in Deutschland. Zur Zeit sind neben dieser Bochumer Zwangsarbeitersiedlung mit Sicherheit in Westfalen und wahrscheinlich in den alten Bundesländern nur noch zwei weitere Siedlungen bekannt. Aus den neuen Bundesländern liegen zur Zeit keine Informationen vor.
Die allgemeine und hinreichend bekannte Geschichte der Bergarbeiter nach 1945 und des Umbaus dieser Siedlung zu Bergarbeiterwohnungen soll hier nicht über die oben skizzierten Daten hinaus erweitert werden.
Für die Erhaltung und Nutzung der Siedlung liegen im Sinne des Denkmalschutzgesetzes wissenschaftliche Gründe vor, denn die Siedlung ist in hohem Maße dazu geeignet, die Geschichte der Zwangsarbeit in Bochum und in Deutschland zu erforschen und zu dokumentieren. Gleichzeitig bezeugt die Siedlung die Mechanismen deutscher Integrationspolitik nach 1945, denn dass diese Anlage sich über Jahrzehnte als erste Heimstatt auch für italienische, türkische und andere ausländischen Arbeitskräfte bewähren musste, trägt zur Bedeutung der Gebäude im Hinblick auf die Migrationsgeschichte bei.
Bemerkenswert ist die Ausführung der Wohnbaracken in Ziegelstein, die sich - den überlieferten wenigen Fotos und Plänen zufolge - auch in anderen Bochumer Lagern (abgerissen), zumindest an der Brüll- und Hüttenstraße, in gleicher Weise finden ließ. Bisher ging man davon aus, dass im Deutschen Reich hauptsächlich Holzbaracken verwendet wurden. Mit dieser Erkenntniss lassen sich eventuell auch andere Siedlungsbauten neu einordnen.
Die Bauten in Bochum stellen auch weitere Annahmen in ein neues Licht:
Gedeckte Luftschutzgräben und Luftschutzkeller, die in der Siedlung noch vorhanden sind, wurden bisher in der Literatur nicht beschrieben. Ihre Auswertung und Einschätzung ist am Bochumer Beispiel erstmals fundiert möglich. Bisher wird in der Literatur überwiegend davon ausgegangen, dass Zwangsarbeitern kein Luftschutz zugestanden wurde. Im Rahmen ihrer "Funktionserhaltung" als Arbeitskraft ist dies offensichtlich von den hier zur Rede stehenden Schachtanlagen anders gehandhabt worden.
Für den Denkmalwert der Siedlung sprechen aber auch städtebauliche Gründe, weil die für Lagertypischen Grund- und Aufrisse der Anlage einen prägnanten Ort darstellt, der zur Information und zum mahnenden Gedenken geeignet ist. Der bis heute sichtbare oder zumindest leicht nachvollziehbare räumliche Bezug der Lager zu Werksgelände und Wohnbebauung trägt in ganz erheblichem Maße zur Veranschaulichung der Erkenntnis bei, dass die Lage der Zwangsarbeiter für die deutschen Bürger unübersehbar gewesen sein muss.